conText: Das kleine Gedicht, der weite Gedanke - eine ökumenische Fahnenaktion

Im Jahr 2025 jährt sich zum zehnten Mal die erste „Umwelt“-Enzyklika der katholischen Kirche: „Laudato si“ von Papst Franziskus. Die katholische Kirche begeht dieses Jubiläum unter anderem mit einer Reihe von Kunstaktionen, die im weitesten Sinn an unsere Verantwortung für die Schöpfung erinnern. Das gesamte Programm kann auf der Webseite des Erzbistums Bamberg nachgelesen werden. Es trägt den Titel: „Unsere (Um)Welt – Hoffen und Handeln. 10 Jahre Laudato si“.
Da das Thema der Verantwortung für die Schöpfung ein allgemeinmenschliches ist, wird sich die Evangelische Kirche in Bamberg an einer dieser Aktionen beteiligen. Von Mittwoch, 25. Juni, bis etwa Ende Juli werden an oder vor verschiedenen kirchlichen Gebäuden Banner oder Fahnen hängen, die von Nora Gomringer, der Leiterin der Villa Concordia, mit inhaltlich passenden Gedichten ihres Vaters, des Poeten Eugen Gomringer, beschriftet werden. Von evangelischer Seite aus werden das Kapitelhaus von St. Stephan und die Erlöserkirche daran beteiligt sein.

Das gesamte Programm einschließlich dieser Fahnenaktion wird am Mittwoch, 25. Juni, um 17 Uhr im Bamberger Dom mit einer ökumenisch gestalteten Eröffnung beginnen.
Nora Gomringer hat dazu den folgenden Text verfasst, den wir gerne zitieren:
„Der Dichter Eugen Gomringer gilt als Erfinder der konkreten poesie und wurde 2025 genau 100 Jahre alt. In der Kunst sind Gedanken zum Konzept der Nachhaltigkeit allgegenwärtig, denn kulturelles Erbe bringt Verantwortung über Jahrhunderte mit sich. So waren Gomringers erste experimentelle Texte in der Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts angelehnt an das Gedankengut der Romantik und deren Bestrebung, eine Weltpoesie zu begründen. Poetisches Wort sollte sich leicht der gesamten Welt mitteilen und verstanden werden können. 2025 wehen Gomringers Gedichte bzw. Auszüge einzelner Texte auf verschiedenen Fahnen auf dem Domplatz und an Kirchen der Stadt.“
Und hier noch ein weiterer, in größere Tiefe gehender Text:
"
Von Umberto Eco stammt das verschmitzte wie ernste Zitat: Wir haben nicht nur die Wale, die Mönchsrobben und die Bären in den Abruzzen zu retten, sondern auch die Bücher.“ Dem legendären Autor des „Namen der Rose“ steckt also ökologische Fürsorge im Erinnern, Wertschätzen und Bewahren von Texten.  Leicht reiht sich dieser Gedanke an die zahllosen Appelle an Leserinnen und Leser, aber auch an Politiker und Kritiker, Schriften, Bücher, Archivalia, Texte, mündliche wie verschriftlichte zu bewahren, sie uns Hüter des Gedankengutes von Generationen und damit Wegweiser für die Zukunft sein zu lassen. Lesen und Schreiben sind Fertigkeiten, die längst nicht allen Menschen mitgegeben werden, ihnen in manchen Teilen der Erde bewusst verwehrt bleiben. Lesen und Schreiben sind kostbare Tätigkeiten, die die Menschen zueinander führen und sie in der Welt halten können. Sie sich ihrer versichern können und anderen gegenüber ausweisen lassen. Der schweizerisch-bolivianische Dichter Eugen Gomringer wurde 1925 in der Urwaldstation Cachuela Esperanza als Sohn einer Analphabetin geboren und hat sich esperanza, also Hoffnung, für die Arbeit als Dichter mit dem Werkstoff Sprache als verbindendes Medium bewahrt. Viele der Texte, die auf den verschiedenen Fahnen dem Wind wie auch dem Blick des vorbeielenden Betrachters preisgegeben sind, sind einfachste Sinneinheiten. Manche ergänzen sich zu Sätzen, manche bestehen aus genau dem Vokabular, das Migratinnen und Migranten beim Ankommen in Deutschland beigebracht wird: Infinitive, Befehle, erste Sinneinheiten in der neuen Sprache. Trotz aller Erfassbarkeit im Moment, geben diese Texte ihren Betrachtern Gedankenmaterial mit auf den Weg, sind Anstoß und Abprall zugleich. Der Dichter sieht seinen Anteil an den Tätigkeiten der Menschen im Vorsatz, mit einfachen Worten Nachhall zu erzielen, Freude zu bereiten, Gemeinsames aufzuzeigen, selbst schöpferisch zu inspirieren. Nicht umsonst bietet die konkrete poesie wie kaum eine Form der Lyrik unmittelbare Teilhabe, lässt sich nahezu verlustfrei in andere Sprachen übertragen, ist nicht abgehoben oder abgeschlossen. In Oberfranken sprach einst Jean Paul von der „Sprachkürze“, die „Denkweite“ schenke. Gomringer hat diesen Satz tief verinnerlicht und stellt seine Texte so konzentriert und „klein“ sie wirken mögen, ganz darauf vertrauend vor die Vielheilt der Welt und Schöpfung."