Wochenandacht

für die Woche vom 14. bis zum 20. September 2025

Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis über Markus 3,31-15 von Vikar Ferdinand Billharz

Liebe Brüder und Schwestern,

Noch 101 Mal schlafen – dann ist Weihnachten, das Familienfest schlechthin. Wahrscheinlich werden viele von Ihnen mit der Familie in den Gottesdienst gehen, bevor es ans Feiern geht. So war es jedenfalls früher auch bei mir: erst Kirche, und man hat das ganze Dorf gesehen – und dann zu Hause die Bescherung.

Wir leben, gerade hier in Bamberg, in einer Gesellschaft, in der die allermeisten getauft sind. Weihnachten, Taufen, vielleicht noch eine Konfirmation – das sind Anlässe, die man feiert. Aber im Alltag? Da spielt der Glaube bei vielen kaum eine Rolle. Da kann es schon passieren, dass man sich als Christ fremd fühlt, wenn man Sonntags in den Gottesdienst geht oder sich im Gebet Kraft holt – selbst in der eigenen Familie.

Und jetzt keine Angst: Ich will nicht auf die gute alte Zeit rekurrieren – ich bin sowieso zu jung, als dass Sie mir das abnehmen würden. Und ehrlich gesagt: Auch vor 200 Jahren, als die Gesellschaft noch viel christlicher geprägt war, war längst nicht jeder gleich stark im Glauben verwurzelt. Manchmal tun wir so, als wäre damals alles selbstverständlich und harmonisch gewesen – aber das stimmt nicht.

Im Gegenteil: Schon Jesus selbst hat erlebt, dass Glaube Spannungen bringt – sogar mitten in der eigenen Familie. Auch er wurde missverstanden. Und genau in eine solche Situation nimmt uns der heutige Predigttext hinein.

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31Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. 33Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. (Markus 3,31-35)

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Dieser kurze Text hat einen Hintergrund, der ihn noch drastischer erscheinen lässt. Nur ein paar Verse weiter oben berichtet uns Markus, dass Jesu Blutsverwandte ihn festhalten und unter Kontrolle bringen wollten, weil sie sich sagten „Der Jesus ist doch verrückt geworden“.

Die Jesusworte haben in mir 2 große Fragen aufgeworfen:

  1. Was heißt das für die Familie Gottes, die Jesus hier eröffnet?
  2. Und 2., fast noch drängender: Und was heißt das für unsere eigene, ganz alltägliche Familie?

Beginnen wir mit der Familie Gottes, die Jesus hier beschreibt – die neue Familia Dei.

Jesus sagt eindeutig: Mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter sind die, die Gottes Willen tun. Gottes Willen haben wir erst vorhin aus dem Johannesbrief gehört:
Wir sollen uns lieben. Nicht nebeneinanderleben, nicht tolerieren oder akzeptieren, sondern lieben. Und zwar so wie Gott uns liebt. Auf die radikalste, aufopferndste und bedingungsloste Art, die ich mir nur denken kann! Ich mein: Wer gibt schon seinen Sohn her, damit andere durch ihn leben können?!

Die christliche Gemeinde soll kein Verein und kein Interessensverband sein, sondern eine Familie.

Wer dieser Aussage unterstellt naiv zu sein und alle Unterschiede in einer Gemeinde unter den Teppich kehren zu wollen, der war noch nie auf einem Familientreffen mit meinen Brüdern, denn glauben Sie mir, da werden Unterschiede ausgetragen und es kann auch mal krachen.

In einer Familie darf man streiten, man muss nicht alles gutheißen und MUSS sogar Kritik anbringen, wenn es notwendig ist. Aber im Idealfall geschieht all das in Liebe. Auch nach dem Streit, sollen sich zwei Schwestern aufrichtig sagen können: Ich hab dich lieb. Und zwei Brüder sollen sich in die Arme nehmen können und trotz aller Unterschiede füreinander da sein, wenn der eine den anderen braucht.

Mit seiner Eingliederung in die Familie Gottes sprengt Jesus Bindungen, die zutiefst in der antiken Gesellschaft verankert waren: Er spricht nicht mehr von Clanverbindungen, in denen der Sohn sich dem Vater unterzuordnen hat – und Töchter und Schwestern ohnehin kaum eine Rolle spielten. Schon die Nennung von ‚Schwestern‘ war revolutionär. In einer Welt, in der Frauen kaum erwähnt wurden, stellt Jesus sie hier ausdrücklich gleichberechtigt in den Kreis. Er beendet damit ein Patriachart, stellt die Schwester dem Bruder gleich. So sprengt er die Clanlogik seiner Zeit. Es ist, als ob Jesus den Familienstammbaum einfach umdreht – nicht mehr oben der Vater, unten die Kinder. Sondern ein Kreis um Jesus, in dem alle gleich nebeneinanderstehen. Er ersetzt die Blutlinie durch die Glaubenslinie.

Das klingt fast wie eine Sekte, die biologische Familie verbietet – aber bei Jesus geht es nicht um Abgrenzung, sondern um Öffnung: Jeder, der liebt, darf dazugehören.

Ich frage mich, auch in unserer Gemeinde: Versuchen wir nach diesem Prinzip zusammenzuleben?

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Aber was heißt das nun für unsere eigenen Familien, die, mit denen wir wirklich Tisch und Leben teilen? Um diese Antwort zu finden reicht der Blick in unseren kurzen Text nicht aus.

Auch hier spricht Jesus radikal. Er sagt: Wer ihm nachfolgen will, darf nicht einmal erst den eigenen Vater begraben. Und er spricht davon, dass Glaube Familien entzweit – Vater gegen Sohn, Mutter gegen Tochter. Nachfolge hat Vorrang, auch vor den stärksten Bindungen, die es im Leben gibt.

Manchmal reißt der Glaube uns mitten aus dem Familienfoto heraus – man passt nicht mehr richtig ins Bild, selbst im engsten Kreis. Aber Jesus malt ein neues Bild, in dem alle Platz haben.

Seine Worte klingen, als ob er die Wurzeln des Familienbaumes kappen wollte. Wir könnten sie als Aufforderung verstehen, unseren Familien den Rücken zu kehren. Aber dieser Baum wird nicht gefällt – er wird neu eingepflanzt. Denn ein Blick auf das Leben Jesu zeigt ein anderes Bild: Am Kreuz sorgt er in seiner Todesstunde für seine Mutter. Und Paulus schreibt, dass Christen ihre nichtgläubigen Partner nicht verlassen sollen.

Und doch bleibt eine Spannung. Jesus relativiert die Familie, er hebt sie nicht auf. Aber im Zweifel gilt: Das Bekenntnis zu Jesus und seiner, unserer, Familie hat Vorrang vor jeder weltlichen Bindung. Das ist radikal. Und glauben Sie mir, ich bin mir der Schwierigkeiten dieser radikalen Aussage bewusst!

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Ich bin mir fast sicher, dass auch sie Spannungen und Missverständnisse in der eigenen Familie erleben. Bekennende Christen stoßen auch hier in Deutschland auf Widerstand und Unverständnis.

Wir müssen uns deshalb nicht aus der Welt und familiären Kontexten verabschieden, aber aufpassen, dass wir unsere Mitgliedschaft in der Familia Dei nicht verleumden.

Ein Gedanke den ich als sehr tröstlich wahrgenommen habe war, dass ich nicht wissen kann, wer zu Jesu Familie gehört. Wenn ich mir ihn mit seinen Jüngern im Kreis vorstelle, dann sind da Leute im Kreis, die selber auf dem Weg sind und nicht perfekt sind. Zum Beispiel Petrus, der nicht den Mumm hatte sich nach seiner Gefangenahme zu Jesus zu bekennen. Und selbst die, die außerhalb des Kreises stehen können jederzeit dazukommen. Wir erfahren in der Apostelgeschichte, dass Maria und die Brüder von Jesus Teil der ersten Gemeinde werden. Auch ein Bruch bedeutet also nicht das Ende, denn Gott kann versöhnen!

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Für uns als einzelne sagt der Text: Prüft eure Loyalitäten! Seid ihr wirklich bei Jesus und lebt in Gottes Liebe, auch dann wenn ihr belächelt und für verrückt erklärt werdet?

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Für Familien bedeutet er: Unbedingte Liebe ist Maßstab. Nicht immer Einigkeit, nicht immer Harmonie – aber die Bereitschaft, einander zu tragen, zu vergeben, füreinander einzustehen. Wer zu Gottes Familie gehört lebt seine Liebe auch im engsten Kreis.

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Und für uns als Gemeinde stellt sich die Frage: Leben wir verbindlich in Geschwisterschaft wie es uns erlaubt und angetragen ist? Kann ich mich hinstellen und aus der Tiefe des Herzens sagen: Ich stehe zu euch – als Schwester, als Bruder – in Liebe?

Und wenn nicht – was fehlt dazu?

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Und wenn Sie jetzt denken: ‚Das klingt ganz schön idealistisch‘ – dann kommen Sie mal zu einer Kirchenvorstandssitzung. Da merken wir: Wir sind wirklich wie eine Familie. Manchmal wird gestritten, manchmal dauert’s länger – aber am Ende sitzen alle am selben Tisch und müssen zu einem Ergebnis kommen.

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Im Kreis um Jesus sitzen die, die lieben – seine Schwestern und Brüder, seine Familie. Draußen stehen die, die ihn missverstehen. Aber dieser Kreis ist offen. Auch die Draußenstehenden können jederzeit dazugehören, wenn sie bereit sind, sich von dem bestimmen zu lassen, was diesen Kreis zusammenhält: die Liebe Gottes.

Das so schöne Bild der Familie ist damit radikal, herausfordernd und schwer auszuhalten. Was ich eigentlich sagen möchte: Ich finde es manchmal sauschwierig.

Aber solange wir uns an die Liebe halten und diese Liebe weitergeben, haben wir Brüder und Schwestern – und einen Vater im Himmel, der unbedingt zu uns hält und der mit seiner Liebe längst in Vorleistung gegangen ist

Darum bin ich dankbar, mich in einer solchen Familie mit Gott und meinen Geschwistern in der Gemeinde zu wissen – auch über meine biologische Familie hinaus, die ich von Herzen liebe.

Und das Schöne ist: In 101 Tagen, an Heiligabend, feiern wir ein Fest, an dem beide Familien zusammenkommen dürfen – die, in die wir hineingeboren sind, und die, in die wir hineingeliebt sind – wenn sie sich nicht ohnehin überschneiden.

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Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.