Wochenandacht

für die Woche vom 30. November bis zum 6. Dezember 2025


Predigt am Sonntag, 30. November, über Römer 13,8-12
von Vikar Ferdinand Billharz
 

Liebe Gemeinde,

ich muss Ihnen etwas beichten:
Bei uns daheim duftet es schon seit letzter Woche nach Plätzchen. Wir konnten es einfach nicht erwarten. Noch bevor der erste Advent offiziell da war, hatten meine Frau und ich Teig an den Fingern und mein Sohn ihn im Gesicht und in den Haaren.

Jetzt brennt auch die erste Kerze an unserem Adventskranz hier in der Kirche. Wir bereiten uns auf die Geburt des Heilands an Weihnachten vor.

Im Evangeliumstext haben wir gehört, wie sich die Menge bei Betfage auf die Ankunft Jesu vorbereitet hat.

Jesus reitet auf einer Eselstute Richtung Jerusalem. Auf einem Arbeitstier statt auf einer prunkvollen Kutsche. Die Menge bereitet ihm den Weg mit ihren Kleidern und Zweigen von Bäumen. Roter Teppich war keiner dabei.

Und ohne spoilern zu wollen, hoffe ich, ich verrate nicht zuviel wenn ich ihnen sage, dass Jesus an Weihnachten auch in keinem Palast geboren wird, sondern in einer Futterkrippe in einem Stall.

Unser König kommt. Aber er kommt anders, als wir es von Königen gewohnt sind. Er kommt verletzlich und nah. Mitten in der Nacht.

Aber was bedeutet das für uns? Wie können wir uns auf einen solchen König vorbereiten?

Wenn ich diese Frage mit Paulus beantworten sollte, wäre meine Antwort knapp: Mit Liebe. Aber hören sie selbst.

 

Predigttext

8Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« 10Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.

 

 

Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.

Paulus ist da sehr klar:
Liebe ist nicht ein kleiner Zusatz zum Gesetz, nicht das Sahnehäubchen für besonders Fromme.
Liebe ist die Weise, wie Gottes Gebote überhaupt erfüllt werden.

Gott gibt uns kein Stempelheft wie ihr Konfis es habt, dass wir lieblos abarbeiten sollen.
Die Gebote sind eher wie eine Form, in der Liebe Gestalt annimmt. Alles, was dem anderen schadet, ist schlicht nicht Liebe – und darum nicht Gottes Wille.

 

Aber, was mir wichtig ist:
Das ist keine Aufforderung zur Selbstoptimierung. Eben nicht: „Jetzt streng dich mal an, noch mehr zu lieben.“
Im ganzen Römerbrief ist klar: Gott fängt an.

Bevor Paulus über unsere Liebe spricht, hat er viele Kapitel lang von Gottes Liebe gesprochen:
Dass Gott uns ansieht.
Dass Gott uns annimmt.
Dass Gott uns rettet.
Dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch gar nichts auf die Reihe bekommen hatten.

Unsere Liebe ist nicht die Eintrittskarte ins Himmelreich. Sie ist die Antwort auf eine Liebe, die uns selbst schon lange geschenkt wurde.

Vielleicht kann man es sich so vorstellen:
Eine Kerze brennt nicht aus sich heraus. Sie wird entzündet.
Gottes Liebe ist die Flamme, unsere Liebe ist der Docht, der in Brand gesteckt wird. Und Werke der Liebe können neues Wachs liefern.

 

Ich will es auch konkret machen.

Da ist der Streit zu Hause oder unter Freunden.
Eigentlich haben wir den anderen gern – und trotzdem rutscht uns etwas raus, was wir hinterher am liebsten zurücknehmen würden. Da wäre Liebe: langsam werden, tief durchatmen und fragen: „Was ist dir eigentlich wichtig? Warum bist du so verletzt?“

Da ist das, was wir online schreiben.
Ist mein Kommentar wirklich aus Liebe geschrieben?
Oder will ich nur recht haben, meine Frustration loswerden und ehrlich gesagt auch ein bisschen sticheln?
Manchmal wäre Liebe: lieber einmal weniger posten – oder bewusst ein ermutigendes Wort schreiben.

Vielleicht ist es manchmal auch einfach schon Liebe, wenn wir den Müll von einer anderen Person auf der Straße aufheben und einer Person aufmunternd zulächeln.

In all dem geht es nicht darum, dass wir uns hochschrauben müssen. Nicht darum, dass wir Gott beweisen müssen, dass wir gute Menschen sind.
Es geht darum, dass die Liebe, mit der Gott uns ansieht, langsam in unseren Händen und Worten ankommt.

 

Diese Liebe, von der Paulus spricht, bleibt aber nicht im Kleinen stehen.
Der Schein der Liebeskerze strahlt mitten in einer Welt, die sich oft ziemlich dunkel anfühlt.
Genau davon spricht der zweite Teil unseres Predigttextes.

 

11Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.

 

Paulus verschweigt nicht die Dunkelheit.
„Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe.“
Das klingt nach Endzeit – und ich muss sagen: Ich verstehe das heute ziemlich gut.

Wir erleben, wie Systeme wackeln:
die Rente, unser Gesundheitssystem, weltweite Sicherheitsbündnisse. Auch unsere Kirche als Institution befindet sich in rauer werdendem Fahrwasser.

Ich frage mich da schon: Reicht das alles noch? Bricht da nicht gerade etwas weg?

Wir sehen Krieg in Europa und an vielen anderen Orten.
Wir spüren die Folgen der Klimakrise schon heute.
Wir erleben, wie unsere Gesellschaft sich spaltet, wie Debatten härter werden.

 

Manchmal habe ich den Eindruck: Da ist richtig Endzeitstimmung in der Luft.
„Die Nacht ist vorgerückt“ – das ist nicht nur ein Satz aus der Bibel, das ist eine Überschrift über viele Nachrichtenmeldungen.

Und genau in diese Stimmung hinein schreibt Paulus.
Er sagt nicht: „Alles halb so wild, denkt positiv.“
Er nimmt die Nacht ernst – und sagt gerade dann:

Legt ab, was dunkel ist.
Zieht an, was zum Tag gehört.
Zieht die Waffen des Lichts an.

 

Das ist ein starkes Bild: Waffen des Lichts.
Wir sind gewohnt, bei Waffen an anderes zu denken: an Gewalt, an Stärke, an Durchsetzung von Macht.

Paulus dreht das um:
Unsere „Waffen“ sind die Taten der Liebe.
Was dem Leben dient, was Menschen schützt und was Beziehungen heilt – das sind Waffen des Lichts.

Nehmen wir als Beispiel die Rentendiskussion, die uns in Deutschland seit Jahren beschäftigt:
Was wäre, wenn Liebe mit am Tisch säße?

 

Wenn die ältere Generation nicht nur fragt: „Was steht mir zu?“,
sondern auch: „Was kann die jüngere Generation überhaupt tragen, ohne selbst unterzugehen?“

Und wenn die jüngere Generation nicht nur sagt: „Wir sind die Gelackmeierten“,
sondern auch fragt: „Was brauchen ältere Menschen für ein würdiges Leben nach einem langen Arbeitsleben?“

Liebe macht Politik nicht leicht.
Aber sie verändert den Ton und die Haltung. Die Bereitschaft, einander zuzuhören und nach Lösungen zu suchen, die mehr im Blick haben als nur die eigene Gruppe.

So könnten wir viele Themen durchbuchstabieren: Klima, Migration, soziale Gerechtigkeit.
Die Fragen bleiben schwer – aber die Waffen des Lichts sind andere als die Waffen der Finsternis.

 

In dem Lied, dass wir als nächstes singen werden heißt es:

„Die Nacht ist vorgedrungen“ und „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“

Das ist Advent in einem Satz.

Gott wartet nicht, bis wir die Dunkelheit weggeliebt haben.
Er kommt selbst hinein.
Als Kind in einer dunklen Welt.
Als Licht mitten in der Nacht.

 

Bei uns zu Hause stehen auch Adventskalender. Einer mit Schokolade, einer mit Geschichten vom Sams.
Ich habe mir dieses Jahr überlegt, mir zusätzlich einen anderen Adventskalender vorzunehmen. Einen, den niemand sieht.
Ich möchte versuchen, mir für jeden Tag etwas vorzunehmen, von dem ich am Abend sagen kann:

„Das war heute eine Tat der Liebe – bewusst, für einen anderen Menschen.“

Ich weiß jetzt schon: Es wird Tage geben, an denen ich es vergesse.
Tage, an denen ich abends denke: Heute war ich eher mit mir selbst beschäftigt.

Und genau deshalb ist mir eines wichtig:
Gottes Liebe hängt nicht an meinem Adventskalender.
Sie hängt nicht daran, wie viele „Liebestaten“ ich schaffe.

Gott fängt an.
Er liebt zuerst.
Er kommt in unsere Nacht – auch dann, wenn unsere Kerzen nicht brennen.

 

 

 

 

Liebe Gemeinde,

noch ist die Nacht da.
In dieser Welt.
Und auch in unserem eigenen Leben, in Ängsten und Verletzungen.

Aber: Die Nacht ist vorgerückt. Der Tag ist nahe.
Der König kommt.
Nicht mit rotem Teppich, sondern mit Esel und Krippe.
Nicht mit Machtgesten, sondern mit offenen Händen.

Christus selbst ist unser Licht.
Er geht uns voraus in der Dunkelheit.
Er ruft uns hinein in sein Licht.
Er bleibt bei uns, wenn wir uns schwer tun zu glauben oder zu lieben.

 

Und wo wir aus seiner Liebe heraus leben,
da wird es ein kleines bisschen heller.

Nicht, weil wir so stark wären.
Sondern, weil sein Licht in unserer Dunkelheit leuchtet. Und zwar bis die Nacht vorüber ist.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.