für die Woche vom 24. September bis zum 1. Oktober
Predigt am Sonntag, 24. Oktober, zur Verabschiedung von KMD Ingrid Kasper über Hebräer 10, 35f+39
von Pfarrer Walter Neunhoeffer
Liebe festliche Gottesdienstgemeinde, liebe Ingrid,
„wie mag alles nur werden?“, fragen sich viele Menschen, fragen sich wahrscheinlich nicht wenige von uns hier, fragst Du Dich, liebe Ingrid, vielleicht auch.
„Wie mag alles nur werden?“, diese Frage hat ganz verschiedene Aspekte. Sie stellt man sich, wenn man vor persönlichen Veränderungen steht, Abschiede zu verkraften hat, vor riesigen Herausforderungen oder gar persönlichen Brüchen und Enttäuschungen steht.
„Wie mag alles nur werden?“ fragen sich viele Menschen angesichts einer Welt, die aus den Fugen gerät, in der die Regeln des Miteinanders, des Respekts und des Anstandes mit Füßen getreten werden, in der die Zukunft unseres Planeten wissentlich aufs Spiel gesetzt wird.
„Wie mag alles nur werden?“ fragen sich auch viele Menschen, denen die Kirche wichtig ist, die den Bedeutungsverlust spüren, die Sorge haben vor Veränderungen, die die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland z.B. schon hinter sich hat.
„Wie mag alles nur werden?“ – eine Frage, der wir nicht ausweichen können, die durchaus mit Sorge verbunden ist und die uns Gefährdungen fühlen lässt
Ich bin gefährdet, den Kopf in den Sand zu stecken.
Ich bin gefährdet, zu jammern, dass früher alles besser war.
Ich bin gefährdet, die Zeichen der Zeit nicht zu verstehen, und einfach so weiterzumachen.
Ich bin gefährdet, dass mir alles gleichgültig wird.
Der Apostel des Hebräerbriefes weiß, vielleicht auch aus eigener Erfahrung, wie sehr man gefährdet ist und bittet deshalb seine Gemeinde:
Werft Euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat!
Offensichtlich sieht er darin, die größte Gefahr, dass man sein Vertrauen, sein Gottvertrauen über Bord wirft. Aber gerade das Gottvertrauen tut gut. Es ist das Vertrauen, dass Gott Ja zu mir sagt, trotz allem. Es ist das Vertrauen, dass es Gott um Versöhnung geht und nicht um Spaltung. Es ist das Vertrauen, dass es Gott wichtiger ist barmherzig zu sein, als seine Macht zu demonstrieren. Es ist das Vertrauen, dass Gottes Liebe stärker ist als alles in der Welt, sogar stärker als der Tod.
Da bleibt sich Gott treu und weil er sich treu bleibt, bleibt er auch uns treu.
Gottvertrauen tut gut. Davon kann unsere Kantorin ein Lied singen.
Ingrid Kasper singt
„Werft Euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat!“, sagt der Apostel, weil er weiß, dass Gottvertrauen gut tut. Denn dadurch fängt man an, andere Menschen mit neuen Augen zu sehen. Vielleicht lohnt es sich, nach einer Enttäuschung nochmal genau hinzuschauen. Vielleicht lohnt es sich, jemanden ausreden zu lassen, auch wenn man eigentlich schon nach 2 Sätzen in die Luft gehen könnte. Vielleicht lohnt es sich, sich auf die Sichtweise eines anderen einzulassen und darauf zu vertrauen, dass auch andere das Beste im Sinn haben.
Der Apostel weiß, dass Gottvertrauen gut tut, denn dadurch wächst auch wieder das Selbstvertrauen: Gott will es mit mir zu tun haben. Gott freut sich an meinen Gaben. Gott traut mir etwas zu. Er traut mir zu, etwas beitragen zu können, an einer gerechteren und friedvolleren Welt.
„Werft Euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.“ Ein Mann erzählte mir, wie in einer schweren Lebenskrise durch die Kirchenmusik in der Stephanskirche sein Gottvertrauen wieder gestärkt wurde und er dadurch Schritt für Schritt wieder lernte, anderen zu vertrauen und sich anderen anzuvertrauen. Er erzählte, wie er nach und nach auch sich selbst wieder vertrauen konnte.
Welche Melodie ihn auf diesem Weg wohl besonders gestärkt haben könnte?
Die Kantorei singt Befiehl du deine Wege
Schritt für Schritt, nach und nach.
Auch der Apostel weiß, dass man Vertrauen nicht einfach so einschalten kann und deshalb bittet er seine Gemeinde: Geduld aber habt ihr nötig, auf dass ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.
Wenn man daran festhalten will, dass sich die Liebe durchsetzen wird, braucht man große Geduld, mit anderen, die einem schwerfällig und unbeweglich vorkommen. Man braucht Geduld, bis sich Strukturen und alte Gewohnheiten verändern. Man braucht Geduld mit den vielen Wenn und Aber, die einem entgegen gehalten werden, wenn man etwas Neues beginnen mag, wenn man Lust auf neue Wege hat und auf ungewöhnliche Kooperationen.
Und man braucht vor allem Geduld mit sich selbst, weil man ja auch gerne in alte Verhaltensweisen zurückfällt und sich mit neuen Perspektiven schwer tut. Man braucht Geduld mit sich selbst, dass man sich nicht zurückzieht, wenn etwas nicht so läuft, wie man es sich vorstellt, wenn alles immer viel zu lange dauert.
Ob es Musik gibt, die uns ein wenig hilft, geduldiger mit uns selbst und anderen zu werden?
Der Teeniechor singt: Meine engen Grenzen
Der Apostel weiß, dass man in der Gefahr ist, sich zurückzuziehen, wenn alles viel zu lange dauert, wenn man Gegenwind bekommt, wenn man nicht verstanden wird, wenn man das Gefühl hat, dass die Unvernunft immer stärker wird. Deshalb erinnert er seine Gemeinde daran: Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen.
Er weiß, dass es Mut braucht, wenn man einstehen möchte für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Aber dass es auch notwendig ist, dass Menschen, diesen Mut aufbringen. Es braucht Mut und ist notwendig, dass man anderen, die nur sich selbst sehen, nicht das Feld überlässt.
Es braucht mutige Menschen, die sich hinstellen, sich zeigen und dafür einstehen, dass diese Welt Gottes Welt ist.
Es braucht mutige Menschen, die den todbringenden Mächten die Schranken weisen.
Ich erinnere mich noch gut an die Aufführung unserer Kantorei mit großem Orchester „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms. Ich hatte seitlich einen Platz und konnte Ingrid Kasper beim Dirigieren zuschauen. Bei der Stelle: „Tod, wo ist dein Stachel, wo ist dein Sieg?“ hat Ingrid Kasper so ausdrucksvoll und so mächtig den Chor und das Orchester geführt, dass ich dachte: „Wenn ich der Tod wäre, dann würde ich mich jetzt lieber zurückziehen.“
Es braucht mutige Menschen. Es gibt Gott sei Dank Menschen, die nicht zurückweichen. Hinter solche Menschen versteckt man sich dann gerne.
„Wie mag alles nur werden?“, wenn diese Menschen weiterziehen, an anderer Stelle gebraucht werden, z.B. in Erfurt? Was ist dann?
Ja, dann sind wir gefragt mit unserem Gottvertrauen, das mit neuem Vertrauen zu anderen und mit Selbstvertrauen belohnt wird.
Dann sind wir gefragt und müssen Geduld beweisen.
Dann sind wir gefragt, als die, die nicht zurückweichen, sondern zeigen, dass sie für die Liebe Gottes einstehen. Amen.