Wochenandacht

für die Woche vom 14. bis zum 20. Juli


Predigt am Sonntag, 14. Juli, über 2. Mose 16, 2-3.11-18,
von Pfarrer Walter Neunhoeffer

Liebe Gemeinde,

„Früher war alles besser!“

Man weiß ganz genau , dass das nicht stimmt und trotzdem ertappt man sich immer wieder bei diesem Gedanken, wenn das Leben kompliziert wird, wenn man vor Schwierigkeiten steht, von denen man noch nicht weiß, wie man sie bewältigen soll, wenn die die Welt gefährdet ist wie im Moment.

„Früher war alles besser!“, scheint auch das Volk Israel in der Wüste zu denken und ist alles andere als zufrieden. Aber hören Sie selbst:

Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und die Israeliten sprachen: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.

… Und der Herr sprach zu Mose: ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der Herr, euer Gott bin.

Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat. Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: Ein jeder sammle, so viel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.

Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, so viel er zum Essen brauchte. (2. Mose 16,2-3.11-18)

Eine wunderbare Geschichte wird uns da erzählt, die vielen von uns schon seit Kindertagen vertraut ist. Gerade bei dem Vertrauten lohnt es sich ganz genau hinzuschauen, weil man dann vielleicht noch etwas entdecken kann, was man vorher nicht gesehen hat.

So will ich ein wenig den Wundern dieser wunderbaren Geschichte nachspüren.

Das erste Wunder, das ich entdecke, ist die Reaktion auf das Murren des Volkes. In meiner von Kindheitstagen geprägten Vorstellung ist Gott vom Murren des Volkes nicht sonderlich begeistert, eher genervt und leicht beleidigt, so wie man das als Kind von Eltern kennt, als Arbeitnehmer vom Arbeitgeber, als Bürger von politisch Verantwortlichen, manchmal auch in der Partnerschaft.

Zu meiner Verwunderung reagiert aber Gott nicht so. Es wird lediglich erzählt: „Und der Herr sprach zu Mose: ich habe das Murren der Israeliten gehört.“ Da ist kein Genervtsein und kein Beledigtsein, sondern nur ein Hören und Ernstnehmen. Das Volk soll darin vergewissert werden, dass es von Gott gesehen, gehört und ernst genommen wird, auch und erst recht in seiner Sorge, in seiner Unsicherheit, in seiner Zukunftsangst.

Der frühere Präsident der Diakonie Deutschland Ulrich Lilie beschreibt in seinem Buch „Unerhört“, dass das Auseinandertriften unserer Gesellschaft einen Grund darin hat, dass sich Teile unserer Gesellschaft von den maßgeblichen politischen Kräften in ihren Sorgen nicht gesehen, nicht gehört und erst recht nicht ernst genommen fühlen.

Wenn man nicht gehört und gesehen wird, ist man verführbarer für einfache Antworten: „Früher war alles besser!“ „Diese oder jene sind schuld an unserer Misere!“

Gott reagiert weder beleidigt noch überheblich, sondern hört das Murren des Volkes. Das ist das erste Wunder, das ich entdecke.

Das zweite Wunder, das ich in dieser alten und vertrauten Geschichte entdecke:

Am Abend kamen Wachteln und am Morgen entdecken die Israeliten wohl Zuckerperlen von Tamarisken. Sie fragen verwundert: Man hu? Zu Deutsch: Was ist das? Und bekommen zur Antwort: Man ha! Das ist das, was Euch Gott gegeben hat.

Ich vermute, dass die Wachteln auch schon vorher da waren. Denn sie lassen sich am Abend ermüdet in der Wüste nieder und sind so leichte Beute. Und die Zuckerperlen von Tamarisken bilden sich am Morgen, vermutlich an jedem Morgen.

Das Wunder ist also kein Wunder, das die Naturgesetze außer Kraft setzt, sondern das Wunder ist ein Wunder des Sehens und Erkennens. Das Volk kann sehen und erkennen, weil es sich vorher vergewissert hat, dass es Gott mit ihm gut meint.

Ich lerne vielleicht die eine oder andere Begegnung neu zu schätzen, weil ich darauf vertraue, dass Gott es gut mit mir meint und mir gerade diese Begegnung gut tut.

Ich fange vielleicht an, auf das eine oder andere zu verzichten, weil ich erkenne, dass die Bitte um Verzicht nicht aus Lust an Gängelung und Verboten herrührt, sondern aus der ehrlichen Sorge um diese Welt.

Gottvertrauen, das Vertrauen, dass Gott uns sieht, und hört und weiß, was wir brauchen, wird uns die Augen öffnen für die vielen Wunder, die uns täglich begegnen.

Das dritte Wunder: „Jeder hatte so viel gesammelt, so viel er zum Essen brauchte“, erzählt unsere Geschichte. Es ist also genug für alle da. Diese Erkenntnis scheint im Bewusstsein der Menschheit ganz tief verankert zu sein. Hunger und Mangel müssen nicht sein.

Wie Sie vielleicht schon mitbekommen haben, findet in diesem Jahr am ersten Advent die deutschlandweite Eröffnung der 66. Aktion von Brot für die Welkt in der Stephanskirche in Bamberg statt. Das ist ein großes Ereignis für uns als Kirchengemeinde. Wir wollen deshalb das Thema Ernährungsgerechtigkeit im Herbst in unseren Gemeinden wichtigmachen. In der Vorbereitung darauf hat mich eine Statistik doch sehr erschüttert. In unserer Welt leben 8,2 Milliarden Menschen. Lebensmittel werden für 12 Milliarden Menschen produziert und trotzdem haben 735 Millionen Menschen nicht genügend zu essen und 2 Milliarden Menschen haben keinen regelmäßigen Zugang zu genügend Essen.

Die biblische Erfahrung ist eigentlich Wirklichkeit: „Jeder hatte so viel, wie er zum Essen brauchte!“ Doch Kriege, Profitgier, Machtbesessenheit, Spekulationen lassen Menschen immer noch hungern. Und so ist das 3. Wunder eigentlich gar kein Wunder, sondern eher eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Eine bleibende Frage bis heute.

Übrigens dauerte es beim Volk Israel nicht allzu lange, bis es wieder murrte. Und wieder reagierte Gott nicht beleidigt. Wenn mir mal wieder nach Murren zumute ist, will ich mich daran erinnern oder erinnern lassen, dass Gott mich hört und sieht und ernst nimmt. Und dann werde ich verwundert feststellen, welche Möglichkeiten mir geschenkt werden, jeden Abend und jeden Morgen, ohne dass die Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden müssen.

Amen.