Wochenandacht

... für die Woche vom 18. bis zu 24. Mai


Predigt am Sonntag, 18. Mai, über Apostelgeschichte 16, 23-24,
von Pfarrerin Michaela Wüst


23 Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu bewachen. 24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. 25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen. 26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. 27 Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! 29 Der aber forderte ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. 30 Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? 31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! 32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. 33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen 34 und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

Liebe Gemeinde,

Paulus ist auf seiner zweiten Missionsreise unterwegs.
Philippi ist die erste europäische Stadt, in der er und seine Begleiter längere Zeit bleiben. Sie suchen den Kontakt mit den Menschen, kommen ins Gespräch, erzählen von Jesus Christus und führen Menschen zum Glauben an ihn.

Und nicht nur das. Paulus treibt in der Vollmacht Jesu einen Wahrsagegeist bei einer Magd aus. Das wird ihnen zum Verhängnis. Die Herren der Magd fühlen sich um ihre Einnahmequelle betrogen und zerren die Missionare auf den Markt vor den Stadtrichter.

Als Ausländer, als Juden erwartet sie kein faires Gespräch oder Gerichtsverfahren sondern Misshandlung und Gefängnis. Aufrührer, die angeblich die römische Lebensordnung durcheinander bringen kommen ins hinterste Loch. Die Füße in den Block. Sicher ist sicher.

Misshandelt und gefangen sitzen Paulus und Silas im Dunkeln. Garantiert kein Grund ein Loblied anzustimmen.

Jetzt will ich mir auf keinen Fall anmaßen, nur annähernd zu wissen, wie es ist als Fremde beschuldigt zu werden. Gefangen zu sein. Misshandelt. Ohne Aussicht auf Rettung in einem fremden Land.

Aber zugehört habe ich den Menschen, die bei uns im Kirchenasyl waren. Die bei uns Schutz suchten, weil sie um ihr Leben fürchteten, wenn sie wieder in ihre Heimat zurück hätten müssen. Von Todesangst, von Misshandlung, von Einsamkeit haben mir die Menschen erzählt. Ihre Lebensgeschichten haben mich tief berührt und erschüttert.

Und deswegen bin ich der Meinung: Zuhören sollten wir den Menschen, die Misshandlung und Gefängnis hinter sich haben und nicht mit tauben Ohren und Herzen Grenzen hochziehen.

Wegkommen sollten wir dagegen vom alten Lied des Jammerns und der Klage. Der Angst des Zukurzkommens. Und die neue Zielrichtung „Kriegstüchtig werden“ löst bei mir kein Gefühl von Sicherheit aus, sondern macht mir Angst. Wohin soll das führen?

Über alles aber zieht an die Liebe, schreibt Paulus an die Menschen in Kolossä. Haben wir diese Zielrichtung vollkommen aus dem Blick verloren?

Die tagtäglichen Nachrichten aus aller Welt und ihr Einfluss auf die Stimmung in unserem Land, in unserer Gesellschaft, ist vielleicht die Finsternis unserer Zeit, die uns gefangen hält. Unser Block, der uns fest sitzen lässt, wie Paulus und Silas im Gefängnis.

Dazu kommen die ganz persönlichen Erlebnisse von Finsternis:
- Sorge, wer soll das alles bezahlen. Die Miete, Lebensmittel, …
- Die Diagnose Krebs, da zieht es dir erst einmal die Füße weg und es wird finster, erzählt der Bekannte.
- Ich gehöre nicht dazu, keiner mag mich, ich bin allein. Ein Gefühl, das Kinder und Jugendliche nicht kennen sollten und doch ist es leider so.
Finsternis in einem. Kein Grund ein Loblied anzustimmen.

Im Hochsicherheitstrakt in Philippi dagegen trauen um Mitternacht die Gefangenen ihren Ohren nicht: Mitten in der Finsternis singen die Fremden. Sie beten singend ihren Gott an. Loblieder klingen durch die Nacht.
Die beiden Missionare jammern und klagen nicht. Sie hadern nicht. Sie loben Gott mit Singen.
Singen als Kraftquelle?!
Sie singen und beten förmlich ihre eigene Rettung herbei. Und sie kommt in Form eines Erdbebens, die Türen springen auf und die Fesseln fallen ab. Und sie singen weiter. Loben Gott, für seine Wunder die er immer wieder tut. Der Ketten sprengt und Herzen weit macht. Der die Finsternis vertreibt. Der neue Hoffnung schenkt. Der den Blick über das Leid hinaus lenkt.

Erst beim zweiten Nachdenken kann ich es nachvollziehen, dass Paulus und Silas mitten in der Finsternis des Gefängnis Loblieder singen. Vielleicht geht es ihnen ähnlich.
Denn erst beim zweiten Anlauf, gelingt es mir oft selber, nicht noch mehr in die Finsternis zu geraten.
Meinen Blick weg von der Dunkelheit zu lenken, zu dem hin, was gut ist, was gelingt, wo ich Bewahrung, ja Freude erfahren habe. Mich nicht von der allgemeinen pessimistischen Stimmung anstecken zu lassen.
Und deswegen brauche ich auch bei Paulus und Silas erst einen zweiten Anlauf, bevor ich es nachvollziehen kann, dass sie Gott loben. Näher wäre mir die Klage, wenn ich mir vorstelle, dass sie im Gefängnis sitzen und erst einmal keine Rettung in Sicht ist.
Und in den Psalmen ist es ja meist so: erst klagen Menschen Gott ihr Leid und kommen dann aber auch zum Lob.

Aber was bringst, wenn ich Jammer und Klage, stellt ein Bewohner im Seniorenheim nüchtern fest. Das Alter bringt so manches Schwere mit sich, ja, aber Jammern macht es nur noch schlimmer. Und mir geht es doch gut hier.

Ist das Glas halb leer oder halb voll? Diese Frage kommt ihnen vmtl. bekannt vor.

Ein Ehepaar sitzt bei der Eheberatung. Neun Termine haben sie schon hinter sich. Und auf die Frage, wie geht es Ihnen? stimmt die Frau zuverlässig das Lied des Jammerns und der Klage an. Die Beraterin steht auf, geht zum Flipchart und malt ein Glas und gibt dem Paar eine Aufgabe: Überlegt und schreibt abwechselnd Sachen rund um das Glas, die euch in letzter Zeit Freude bereitet haben.
Schnell füllt sich das Blatt: Der Ausflug mit den Enkeln, der Sonnenschein, ein gutes Essen, …
2. Aufgabe: Schreibt jetzt dazu, was euch am Anderen gut tut. Zögerlich, aber doch nach und nach steht dann dort:
das er einfach da ist, das sie unsere Familie zusammenhält. Und dabei erklingt langsam ein Loblied: Mensch, wir sind doch auch beschenkt! Es ist nicht alles schlecht.

Manchmal überrascht uns die Erkenntnis, dass etwas ganz anders ist, als es vordergründig erscheint. So auch in Philippi: Vom Beben überrascht fährt der Gefängniswärter aus dem Schlaf. Den Gesang hat er anscheinend verschlafen. Er sieht die geöffneten Türen und zieht den naheliegenden Schluss: die Gefangenen werden wohl geflohen sein. Ein Gefängsniswärter in einer Nacht der offenen Gefängnistür kann sich die Kugel geben oder eben das Schwert. Verzweifelt steht er mitten in der Finsternis. Bereit seinem Leben ein Ende zu setzen. Paulus aber ruft laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Ausgerüstet mit Licht kann der Wächter sein Glück gar nicht glauben. Keiner ist geflohen.

Und vielleicht hallen auch noch die Loblieder zwischen den Mauern nach. Loblieder auf den Gott, der immer wieder Wunder tut. Der Ketten sprengt und Herzen weit macht. Der die Finsternis vertreibt. Der neue Hoffnung schenkt.

Darauf hin ließ der Wärter sich und alle die zu seinem Haus gehörten taufen und führte Paulus und Silas in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich, dass er zum Glauben an Gott gekommen war, wird uns erzählt.

Happy End. Und doch ist es viel mehr als das.
Die Erzählung hat mehrere Wunder und eines davon ist für mich: aus Fremden ist eine Gemeinschaft geworden, eine Gemeinschaft in Christus, die darauf vertraut: Christus ist das Licht der Welt, das die Finsternis vertreibt.

Amen.