Wochenandacht

für die Woche vom 15. bis 21. Juni


Predigt am Sonntag, 15. Juni, über 2. Korinther 13, 11-13,
von Pfarrer Hans-Helmuth Schneider


Zuletzt, Brüder und Schwestern, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! 

Liebe Gemeinde,

da hat man also einen Schluss eines Briefes zum Predigttext gemacht, die letzten Zeilen, die Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat. Man hat das wohl gemacht, weil Paulus hier mit der frühesten erhaltenen Formel der Dreieinigkeit Gottes grüßt: Jesus Christus, Gott und Heiliger Geist. Davor stehen ein paar recht allgemeine moralische Gedanken: lasst euch mahnen, haltet Frieden, und dann folgen die Grüße und eine Art Segen im Namen des dreieinigen Gottes.

Was mich für diese Predigt am meisten beschäftigt hat, ist nicht so sehr die Frage nach der Dreieinigkeit Gottes, obwohl man darüber auch predigen kann. Was mich beschäftigt hat, sind die Ermahnungen vorher. Denn ich empfinde hier einen gewissen Widerspruch zwischen Paulus und unserer offiziellen Evangelischen Kirche. Wenn Paulus Briefe schreibt, und für viele seiner wichtigen Briefe trifft das zu, dann schreibt er erst ziemlich kurz vor dem Schluss eine Liste mit Ermahnungen und die sind oft recht allgemeiner Art. Das hat man damals in der Antike gern so gemacht, Paulus ist da nicht der einzige gewesen. Er bringt damit zu einem großen Teil auch die allgemeine Moral seiner Zeit zum Ausdruck – so sollen sich Christen eben auch verhalten, wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte für gute Menschen. In den vielen Kapiteln davor hat er allerdings klar gemacht, dass Gott uns ganz sicher nicht deswegen liebt, weil wir versuchen, gute Menschen zu sein. Mehr noch, dass wir das gar nicht können, einfach gut zu sein, denn wenn man uns irgendeine Art von Gesetz oder von Regeln gibt, dann halten wir uns über kurz oder lang doch nicht daran. Und deswegen ist Jesus zu uns gekommen: Weil Gott die Sünder liebt und nicht, oder nicht nur, die Gerechten. Um uns da herauszuhelfen, indem er die Vergebung der Sünden ermöglicht hat.

Wenn Paulus es einmal anders macht und in einem Brief auf viele moralische Fragen eingeht, dann deswegen, weil ihm jemand von Fragen oder Problemen berichtet hat und er etwas dazu sagen möchte. Das gibt es auch, und gerade auch in seinen beiden Korintherbriefen. Zu diesen Passagen sagen heute allerdings mehr oder weniger alle Ausleger: das ist doch recht zeitgebunden, was er da schreibt. Das sind nicht gerade ewige Wahrheiten. Und in der Tat: Die Vorstellungen von Moral ändern sich. Das kann man mögen oder nicht, aber sie ändern sich, in vieler Hinsicht jedenfalls. Und so ist es auch im Zeitalter der christlichen Gesellschaften bisher gewesen. Jede Zeit hat ihre jeweiligen Anschauungen über ein gutes Leben mehr oder weniger direkt als christlich angesehen. Und das ist nicht einmal so verkehrt, denn Paulus scheint das auch so gemacht zu haben.

Was nun den Widerspruch zur Evangelischen Kirche angeht, den ich vorhin erwähnt habe: Nach meinem Eindruck tut die Evangelische Kirche viel dafür, das Christentum als eine vor allem moralische Lehre erscheinen zu lassen. So manche kirchliche Verlautbarung redet von unerfüllbaren Idealen, aber wenig von der Wirklichkeit. Und auch nicht davon, dass man vor Gott eben gerade keine eigene Gerechtigkeit aufbauen kann, oder davon, dass Menschen eben Sünder sind oder gleich die ganze Welt sündhaft ist und deshalb immer schon auch Kompromisse gemacht werden müssen. Oder auch nicht davon, dass manche anderen Kirchen das eine oder andere auch anders sehen.

 

Aber wie dem auch sei – es gibt auch Dinge, auf die das Christentum im Lauf der Geschichte eingewirkt haben und auf die wir stolz sein können. Normalerweise waren solche Fälle immer langsame und komplizierte Prozesse. Ich möchte dafür ein Beispiel nennen, und es kommt auch von Paulus.

Paulus lebte in der Antike, Paulus lebte im Römischen Reich und er hat die gesellschaftlichen Verhältnisse von damals auch nicht verändert. Es wäre so unrealistisch gewesen zu glauben, dass er das gekonnt hätte, dass er sich mit diesem Gedanken gar nicht weiter beschäftigt hat. Aber – und das ist das Interessante daran – er hat dennoch mit einigen seiner Gedanken einen Grund dafür gelegt, dass bestimmte Dinge gewachsen sind. Über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, also sehr langsam, wirklich sehr langsam, haben sich Dinge entfaltet, die Paulus in die Welt gesetzt hat und die für seine damalige Zeit eben doch nicht normal waren. Sie hätten schon damals die Gesellschaft verändern können, wäre die Zeit und die Gesellschaft bereits reif dafür gewesen. So war es nicht. Sie haben nur das Verhalten einzelner Menschen verändert, die Christen waren. Und so waren Christen, auch das zu allen Zeiten, nicht immer einfach nur Menschen ihrer Zeit und des jeweiligen damaligen Weltbildes, sondern sie standen immer auch ein Stück weit daneben, weil sie noch von etwas wussten, was andere nicht gewusst haben. Naja, eigentlich müsste ich sagen: Manche Christen waren so. Andere haben es auch früher nicht verstanden und ob es heute alle verstehen, das ist auch schwer zu sagen.

Ein Beispiel also von Paulus. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Oder in seinen Worten: In Christus, da gibt es weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie, weder Mann noch Frau. Das soll heißen: Bei Gott sind alle gleich, er liebt sie alle als seine Kinder, ohne jeden gesellschaftlichen und ohne jeden menschengemachten Unterschied.

Das war etwas in der damaligen Gesellschaft, in der man durchaus Unterschiede in der Volkszugehörigkeit, im gesellschaftlichen Status und im Wert der Geschlechter gemacht hat. Es hat bis ins Zeitalter der Aufklärung gedauert, bis sich dieser Gedanke endlich auch eine breite politische Bahn gebrochen hat – er war nie weg, er hat eine unendlich komplizierte Geschichte durch die Jahrhunderte gehabt, aber auf einmal war es so weit, dass viele Menschen sagten: Das wollen wir jetzt auch erleben, dass alle gleich sind. Hundert Jahre später, die Mühlen mahlen langsam, wird endlich nach und nach die Sklaverei abgeschafft, noch einmal hundert Jahre später nach und nach der Kolonialismus und die Vereinten Nationen erklären die allgemeinen Menschenrechte. Das alles geht nicht einfach so und immer nur auf die Kirchen zurück, so einfach ist es nicht. Aber es geht auf das Christentum zurück und auf den Apostel Paulus. Der wiederum das Verhalten von Jesus angeschaut hat und gesagt hat: Das lässt keine anderen Schlüsse zu. Jeder Mensch ist für Gott wertvoll ohne Ausnahme.

Wir wären keine Menschen und damit keine Sünder, wenn dieser Gedanke nicht immer noch seine Schwierigkeiten hätte und weiterhin gefährdet wäre. Ob man in hundert Jahren noch die Menschenrechte hoch achten wird, kann ich nicht sagen. Heute jedenfalls unterscheiden schon wieder - oder immer noch - viele Menschen, auch bei uns in Deutschland, zwischen Juden und anderen Menschen. Um die Rechte der Frauen ist es im weltweiten Maßstab nicht so bestellt, wie es eigentlich sein sollte. Selbst die Sklaverei wird mancherorts praktiziert – noch oder wieder. Aber andererseits: Wie viel hat sich nicht doch auch getan! Wie viel besser haben es viele Menschen heute als es in früheren Zeiten der Fall gewesen wäre. Dass das so bleibt, ist nicht sicher. Aber ohne das Christentum wäre die Welt vermutlich noch einmal woanders – ganz woanders. Ich hoffe, das bleibt noch lange so. Denn es ist schöner, in einer Welt zu leben, die vom Christentum zumindest mitbestimmt ist, als in einer Welt ohne dieses.

Amen