für die Woche vom 13. bis zum 19. Oktober
Predigt am Sonntag, 13. Oktober, über 2. Korinther 3, 3-6,
von Pfarrer Hans-Helmuth Schneider
Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid durch unsern Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen.
Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.
Liebe Gemeinde,
das ist ein kurzer Text, in dem Paulus gleich mehrere Dinge auf einmal sagen will.
Allerdings hat der Text auch einen Hauptgedanken. Über den lohnt es sich nachzudenken. Er hat zu tun mit der Frage: Was will Gott denn eigentlich? Oder: Was will Gott, und nicht zuletzt von uns? Denn dass er etwas will, das ist zunächst einmal so. Aber was das nun ist und wie man als Mensch oder als Christ da herangehen soll, das ist dann noch die Frage.
Der Gedanke, den Paulus hier ausspricht, kommt gleich mehrfach vor. Im ersten Satz redet er davon, dass Gott, wenn er sich durch seinen Geist an uns wendet, dass Gott dann nicht mehr mit steinernen Tafeln daherkommt, sondern sich an das Fleisch, das heißt, an die Lebendigkeit unserer Herzen wendet. Die steinerne Tafeln kommen von der Geschichte von Moses daher: Die ersten Gebote, die er den Israeliten überbracht hat von Gott, waren die Zehn Gebote. Und hat er auf steinernen Tafeln gebracht. Diese wurden dann viele Jahrhunderte im Tempel in Jerusalem aufbewahrt, in einem verzierten Kasten, den man die Bundeslade genannt hat.
Das war der erste Bund, der Bund Gottes mit Israel. So weit, so gut, oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls war es so, dass Gott durch Jesus noch einmal einen zweiten, einen neuen Bund geschlossen hat mit allen Menschen und damit auch mit uns. Und Jesus hat keine neuen Steintafeln gebracht, sondern sich – wie nach ihm der Geist Gottes – an die lebendigen Herzen der Menschen gewandt.
Darum heißt es nun in weiteren Versen des Textes, dass der neue Bund nicht ein Bund des Buchstabens ist, des Buchstabens des Gesetzes, das genau so und so aufgeschrieben wurde, sondern ein Bund des Geistes. Und der letzte Satz kommt besonders massiv daher. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.
Was heißt das nun?
Im Namen des Gesetzes – da denkt man an die Polizei, die jemanden verhaftet. Das Gesetz ist vor allem eine Organisation von Regeln, die Dinge verbieten und die die Übertretungen dieser Verbote bestrafen. Das brauchen wir Menschen leider auch. Und wenn vor dem Gesetz alle gleich sind, dann ist das auch erst einmal eine gute Sache.
Aber je mehr man so denkt und so lebt: nach dem Gesetz, desto unflexibler wird man auch, man könnte auch sagen: desto unlebendiger, desto unkreativer, desto unfreier. Denn warum handelt man dann? Weil man Angst hat vor der Strafe. Nun geht es uns zum Glück die meiste Zeit so, dass wir keine Angst haben müssen, weil uns vieles selbstverständlich ist, was das Gesetz sowieso fordert. Aber wer kennt sich heute eigentlich noch in den Gesetzen wirklich aus, dass er das von sich sagen könnte: Ich verstoße gegen kein Gesetz. Kennen Sie alle Steuervorschriften? Kennen Sie alle Vorschriften für Grundstücke oder Wohnungen? Alle Regeln für das Internet? Kennt das überhaupt noch jemand, außer beruflichen Experten vielleicht? Wie kann man davon ausgehen, dass man schon alles richtig macht? Ich weiß das, ehrlich gesagt, nicht.
In Deutschland ist alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. So hat man schon im 19. Jahrhundert die innere Haltung der Deutschen und ihrer Kultur beschrieben – im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen alles erlaubt ist, was nicht grundsätzlich verboten ist. Es gibt mittlerweile in keinem Land der Welt so viele Gesetze und Vorschriften wie in Deutschland. Die EU-Regeln kommen auch noch dazu, und es gibt in keiner Gegend der Welt so viele Gesetze und Vorschriften wie in der EU. In Deutschland haben heute wir die Kombination von beidem. Und ich habe schon manche Leute sagen hören, dass man eigentlich kaum noch etwas machen kann, oder wenn, dann braucht man erst einmal viele Jahre, um ein paar Dutzend Genehmigungen von verschiedenen Stellen zu bekommen. Wie viele Angestellte braucht eine Firma heutzutage, allein um bürokratische Auflagen zu erfüllen? Hier liegt natürlich ein Grund – einer von mehreren - dafür verborgen, warum Deutschland inzwischen kaum noch konkurrenzfähig ist auf dem Weltmarkt. Und ein Grund, einer von mehreren, warum alles immer teuerer wird. Allgemeiner gesagt: Wenn man das Gesetz so verehrt wie die deutsche Politik, dann scheint eine Tendenz mit sich zu bringen, zu übertreiben, sich weiter und weiter auszudehnen und schließlich die Lebendigkeit zu ersticken. Das Gesetz betoniert das Leben ein, wenn es einmal eine solche Rolle zu spielen angefangen hat.
Soll die Religion auch noch so werden? Ist Gott denn auch so? Bzw. ist es das, was er will? Nein, sagt Jesus. Und schon hat er sich herumstreiten müssen mit den Pharisäern und Schriftgelehrten. Wie kannst du dich nicht an die Gesetze halten? Und Jesu antwortet: Da war ein Mensch, der mich gebraucht hat. Da war ein Mensch, dem Gott durch mich seine Liebe zeigen konnte und wollte. Auch am Sabbat. Trotz dem Gesetz von Mose. Der Mensch ist wichtiger. Weil die Liebe zum Nächsten wichtiger ist.
Der Buchstabe tötet. Hätte ich mich an den Buchstaben des Gesetzes gehalten, wäre dieser Mensch vielleicht an seiner Krankheit gestorben. Und ich hätte mir sicher sein können, dass Gott genau das nicht gewollt hätte. Die Nächstenliebe dagegen hat immer recht. Sie hat mehr recht als jedes Gesetz. Wer nicht begreift, dass Gesetze eigentlich den Sinn haben sollten, der Liebe zu dienen, der hat nicht begriffen, was Gott eigentlich will.
Im Johannesevangelium sagen die Priester und Schriftgelehrten am Schluss zu Pilatus: Wir haben ein Gesetz. Und nach diesem Gesetz muss er sterben. Er, das ist Jesus. Das hat auch Paulus begriffen: Das Gesetz, mit dem Gott einst, 1000 Jahre zuvor, dem Volk Israel etwas Gutes tun wollte, es hat sich zu einem Instrument des Todes entwickelt. Und so, wie es aus Jesus einen Sünder gemacht hat, ohne jede Berechtigung hat es das getan, so macht es auch aus uns allen Sünder. Denn natürlich übertreten wir es jeden Tag, weil die Forderungen des Gesetzes viel mehr sind und viel absoluter als dass wir Menschen einfach so leben könnten, wie das Gesetz es eben verlangt. Den Glauben an Gott mit Gesetzen und Vorschriften zu verbinden, das führt irgendwie in eine falsche Richtung.
Der Geist aber macht lebendig. Der neue Bund, den Jesus gebracht hat, ist ein Bund der Lebendigkeit. Was heißt nun aber das?
In Bezug auf Jesus sagte ich es schon: Gott liebt diese Welt, Gott liebt uns Menschen, er liebt jede und jeden von uns. Das hat Jesus damals in seiner Umwelt klarzumachen versucht. Und zeitweise musste er dazu aus dem Gesetz geradezu aussteigen. Das war ein neues Handeln. Das war ein neues Verständnis von Religion. Das war ein neues Denken. Es sagt: Religion baut nicht auf Furcht auf, auf Furcht vor Verstößen gegen Regeln und auf Furcht vor Strafen. Alles das gehört bei Jesus nicht dazu. Sondern Religion kommt aus der Liebe Gottes. Sie ist es, die Gott uns in Jesus geschenkt hat. Sie ist es, die sich durch uns fortsetzen soll auf dieser Welt. Hier haben wir auch, was Gott will: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Also … liebe dich selbst und liebe deinen Nächsten. Denn Gott tut genau das auch. Das ist die grobe Richtung. Das ist kein Gesetz. Denn wie wir das machen sollen, das wird nun nicht in allen Einzelheiten ausgeführt. Das bleibt uns selber überlassen. Das sieht in jedem Leben und in jeder Situation wieder anders aus. Darum hilft uns auch kein Gesetz weiter. Denn wenn wir eine Vorschrift hätten, käme morgen eine Situation, auf die sie nicht mehr passt und wir müssten sie schon wieder übertreten, so, wie Jesus auch Vorschriften übertreten hat.
Es gibt einen Satz des Kirchenvaters Augustinus, den kann man eigentlich gar nicht oft genug zitieren: Liebe und tue, was du willst. Liebe und tue, was du willst. Denn wenn du etwas aus Liebe tust, dann machst du nichts falsch. Sondern dann bist du in Übereinstimmung mit Gott und seinem Willen. Sein Wille, das ist sozusagen seine Liebe. Dass er uns liebt und uns dadurch ebenfalls in liebende Menschen verwandeln will. Das ist, nebenbei gesagt, auch der Sinn der Jahreslosung dieses Jahres: Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen. Das ist die Richtung. Da ist Gott, wenn er sich auf diese Welt begibt: in der Liebe.
Und wenn wir nicht lieben? Oder nicht genug? So müssen wir nicht denken. So müssen wir nicht fragen. So müssten wir nur fragen, wenn die Sätze von der Nächstenliebe ein neues Gesetz wären. Sie sind aber mehr so etwas wie eine Orientierung. Sie wollen keine Angst machen und sie drohen nicht mit Strafe. Sie entlassen uns in eine große und echte Freiheit. Das hat auch noch mit einer anderen Freiheit zu tun, von der ich in der heutigen Predigt nicht mehr sprechen kann: der Freiheit, die aus der Vergebung der Sünden kommt; der Freiheit, die Jesus am Kreuz für uns erworben hat. Die gibt es auch noch und sie ist sogar noch wichtiger als alles Reden vom Gesetz und vom Geist oder dem neuen Bund. Davon wieder ein andermal. Für heute schließe ich mit dem Satz: Bei Gott, da haben wir es wirklich gut.
Amen